„Erfolgreiche Gründer sprechen mit den Senioren, nicht über die Senioren“
Zur Person Frank Leyhausen:
Frank Leyhausen ist Geschäftsführer der Unternehmensberatung MedCom international, die mit ihren Konzepten ihren Kunden hilft, die Zielgruppe der „dritten Generation“ effektiv zu erreichen.
Der Kölner ist bereits als junger Marketingmensch zum ersten Mal mit dem „Markt der grauen Schläfen“ in Berührung gekommen. Seither lässt ihn das Thema der alternden Gesellschaft nicht mehr los. Seine Entscheidung, sich mit MedCom diesem Thema ganzheitlich zu widmen, war also nur konsequent.
Der SENovation Award – „sich ein Beispiel nehmen an der amerikanischen Gründerkultur“
Die Idee zur Gründung des SENovation Awards kann ihm bei seinen Reisen in die Vereinigten Staaten, wo reihenweise innovative Produkte für den älteren Teil der Bevölkerung entwickelt werden. Es war für ihn frustrierend und gleichermaßen animierend zu sehen, wie so viel möglich ist in einem Land, das von seiner Altersstruktur deutlich jünger ist. Die dortige AARP, (das Pendant zur deutschen Seniorenliga,) hat mit seinen ca. 36 Mio. Mitglieder durch zahlreiche Initiativen die Start-up-Szene belebt. Diese Dynamik hat Leyhausen mit den SENovation -Award erfolgreich nach Deutschland gebracht. 20 % der Bevölkerung sind 65 Jahre oder älter: ein Riesenmarkt der Möglichkeiten.
Gegründet worden ist die Initiative von der deutschen Seniorenliga und der Signal Iduna Gruppe. Mit dem Award soll die Start-up-Szene in der DACH Region für die „Silver Economy“ sensibilisiert werden.
Ältere Menschen bei der Produktentwicklung mit einbeziehen
Frimeso: Mit den Start-up-Konzepten sollen „ältere Menschen bewusst angesprochen werden“ Wie gelingt das?
Leyhausen: Es gibt die klassischen Seniorenprodukte, wie etwa den Rollator. Bei vielen Produkten geht es aber gerade darum, dass man sich als Unternehmen die Mühe macht, ihre Produkte dem älteren Kunden verständlich zu erklären und ältere Menschen bei der Produktentwicklung mit einzubeziehen. Wenn Sie zum Beispiel eine APP entwickeln, sollte sie auch leicht bedienbar sein. Sprache muss so verwendet werden, dass sie auch vom Zielpublikum verstanden werden kann. Fachbegriffe und Anglizismen können dazu führen, dass sich Ältere von vornherein ausgeschlossen fühlen. Es geht also um einen ganzheitlichen Ansatz.
Deutschland liegt beim Gründen hinter Ländern wie den USA; es holt aber auf
Frimeso: Sie sagen auf Ihrer Homepage, dass Deutschland im Vergleich zu Ländern wie den USA keine klassische Start-up Nation sei. Warum ist das so?
Leyhausen: Wir haben noch nicht den gleichen Gründergeist. Unser sehr gutes Sozialversicherungssystem, das Beamtentum und ein robuster Arbeitsmarkt führen dazu, dass das Gründen vor allem als Risiko gesehen wird. Viele gründen daher neben dem Beruf. Man bleibt lieber erst einmal in seinem gut bezahlten Job. In den USA ist das Risiko seinen gut bezahlten Job zu verlieren, genauso groß, wie ein Start-up an die Wand zu fahren.
Gründen als Lifestyle -Konzept
Frimeso: Liegt das nicht auch daran, dass in Deutschland die Angst vor dem Scheitern eine viel Größere ist als wie zum Beispiel in den USA, wo das Scheitern zum „guten Ton“ gehört?
Leyhausen: Wir haben keine gute Kultur des Scheiterns. Wenn man in den USA scheitert, heißt es: ‚Und, was machst Du jetzt?‘ Wenn man in Deutschland scheitert, ist man oft als „Versager“ gebrandmarkt. Man bekommt automatisch Angst, gesellschaftlich ins Abseits zu geraten. Das ist schade, denn ich persönlich lerne eigentlich mehr aus meinen Fehlern. Fehler hinterfragt man. Erfolge feiert man.
Dennoch tut sich in Deutschland gerade unheimlich viel. Viele wollen etwas tun. Wir sind auf einem guten Weg. Vor allem hat sich die öffentliche Wahrnehmung geändert. Gründen ist jetzt „cool“. Es wächst eine neue Generation mit einem neuen Lifestyle-Konzept heran, die sich den Arbeitsalltag selbst gestalten will.
Sich auf die eigenen Stärken zu besinnen ist besser, als die Stärken anderer schlecht zu kopieren
Frimeso: In welchen Industrien gibt es heute generell die meisten Start-up Gründungen?
Leyhausen: Unsere Stärken liegen nach wie vor beim Ingenieurwesen. Aber auch in einigen Tech-Bereichen sind wir vorne mit dabei. Wir schauen generell zu viel nach Silicon Valley und wollen immer alles digitalisieren, obwohl wir doch in anderen Bereichen viel stärker sind. Wir sollten uns auf unsere eigenen Stärken besinnen. Das gilt auch beim „Age-Tech.“ Deutschland hat das größte lebende Labor der Welt. Wir sollten uns anschauen, was wir haben und darauf aufbauen. Das ist besser, als nach Amerika zu schauen und schlecht zu kopieren.
Die Zielgruppe der „Silver Economy“ – nicht zwingend eine Frage des Alters, sondern der jeweiligen Lebenssituation
Frimeso: Wie alt ist man denn, um zu der Zielgruppe der „Silver Economy“ zu gehören?
Leyhausen: Wir sind Gegner von 50+, 60+, 70+. Diese Segmentierung nach dem kalendarischen Alter macht keinen Sinn. Mein tatsächliches Alter interessiert mich wenig und beschreibt mich auch nicht in meiner Bedarfssituation. Wir leben und beraten nach dem Motto: “It’s not about age, it’s about stage“. Es ist egal, ob sie 40 oder 50 sind. Aber wenn sie in dieser Zeit pflegender Angehöriger werden, dann ändert sich ihr Leben. Dementsprechend sollten Start-ups ihre Kunden nach veränderten Bedürfnissen definieren.
„Erfolgreiche Gründer sprechen mit den Senioren, nicht über die Senioren“
Frimeso: Viele Start-up Gründerinnen und Gründer sind jünger als ihre Zielgruppe. Wie schaffen es diese jungen Menschen, sich in die älteren Kunden hineinzuversetzen?
Leyhausen: Wir haben einen ganz einfachen Slogan: ‚Mit Senioren sprechen, nicht über Senioren sprechen.‘ Viele Produkte werden mit besten Willen und besten Vorsätzen entwickelt. Senioren sollten aber schon früh in den Innovationsprozess als Sparringspartner, Kontrollinstanz oder sogar als Innovator mit eingebunden werden. Nur wer mit Senioren spricht, kann auch Empathie aufbauen. Ältere werden viel zu wenig gefragt.
Die digitale Zweiteilung als Herausforderung – gefragt sind Demut und Empathie bei der Produktentwicklung
Frimeso: Ist der ältere Konsument bereit für digitale Innovationen? Spielt die digitale Zweiteilung eine Rolle für innovative Start-ups? Nimmt der ältere Bevölkerungsteil digitale Innovationen an?
Leyhausen: Die digitale Zweiteilung gibt es. Laut dem Digitalindex für Deutschland gibt es immer noch knapp 12 Mio. Menschen in Deutschland, die überhaupt nicht digital sind. Dazu kommen ca. 40 % der Bevölkerung, die als „Minimal-Onliner“ digital im Abseits stehen. Digitale Start-ups haben die Herausforderung, diesen Bevölkerungsteil mitzunehmen. Die Bereitschaft zum Runterladen einer App ist eher gering. Daher müssen diese Leute eingewiesen werden, entweder persönlich oder zum Beispiel durch YouTube Videos.
Hier tut sich die Wirtschaft generell schwer. Viele Menschen sind den beschwerlichen Weg gegangen, sich ein Konto auf dem APP-Store einzurichten. Aber wenn sie dann unaufgefordert ein Update bekommen, wo auf einmal der Knopf rechts ist und nicht mehr links, grün und nicht mehr rot, frustriert das die Leute. Diese Menschen haben seit jeher die Fernbedienung benutzt und müssen nun mit einer volatilen Oberfläche umgehen. In den USA können die Senioren schon wieder Ihren Uber per Telefon bestellen, nachdem die Nachfrage per APP für das Unternehmen nicht ausreichend war. Die hiesigen Autohersteller sollten mit Demut zur Kenntnis nehmen, dass das Durchschnittsalter der Autokäufer bei 52 Jahren liegt.
Zwei der bisherigen Gewinner: Pflegix, das Pflegeportal und Rufus, der Telefonfilter
Frimeso: Können Sie ein oder zwei der Gewinner hervorheben?
Leyhausen: Im Jahr 2018 hat bei uns die Plattform Pflegix gewonnen. Das Konzept war überzeugend. Pflegix führt selbstständige Pflegekräfte sowie die nach Pflegekräften suchenden Familien zusammen. Heute sind sie Teil einer international agierenden Gruppe.
Letztes Jahr gewonnen hat Rufus- Der Telefonfilter, ein junges Start-up, dass sich der Thematik des Telefonbetrugs widmet. Jährlich werden in Deutschland Millionen an Euro durch Kriminelle ergaunert, die mit dem Enkeltrick oder als falscher Polizist Menschen am Telefon betrügen. Das Start-up hat mit dem Telefonfilter eine Box gebaut, die zwischen Anschluss und Telefon installiert wird. Je nach Wunsch werden unbekannte oder geblockte Nummern herausfiltert. Für unbekannte Nummern gibt es aber auch die Option, dass die Anrufer sich erst identifizieren müssen oder zustimmen, dass die Gespräche aufgenommen werden. Rufus haben während der Entwicklung mit der Polizei, Universitäten und der Caritas zusammengearbeitet und einen Feldtest bei 100 Haushalten durchgeführt. Die Box wurde von über 99 % genutzt. Das Unternehmen hat auch darauf geachtet, dass bereits gelernte Bedienelemente benutzt werden wie zum Beispiel die Bedienung via Telefon. Es gibt keine App und keine Oberfläche. Ein einfaches Produkt, dass den Menschen Lebensqualität und Sicherheit vermittelt. Ein echtes Seniorenprodukt.
Frimeso: Gibt es auch andere besondere Beispiele von Teilnehmern, die nicht gewonnen haben, ihnen aber aus anderen Gründen in Erinnerung bleiben?
Leyhausen: Ein 66-jähriger Ingenieur hat für seine 90-jährige Mutter mit einem 3-D Drucker eine Plastikscheibe mit Öse hergestellt, die zwischen Deckenmagnet und den Rauchmelder geklemmt wird. Die Mutter konnte dann den Rauchmelder im Falle eines Fehlalarms einfach mit dem Besen runterholen, ohne auf einen Stuhl klettern zu müssen. Eine Einreichung betraf ein Portal, welches Leihühner vermittelt. Leihühner werden in der Demenztherapie als Streicheltiere eingesetzt. Es gibt Anbieter, die Leihühner zu Pflegeeinrichtungen bringen. Mit dem Portal können Hühnerhalter nun ihre Hühner vermarkten.
Eckpunkte des SENovation- Awards:
Teilnahmevoraussetzungen:
Es werden zwei Unternehmenstypen gekürt:
- Junge Startups, (maximal drei Jahre alt)
- Vorgründer, die noch gründen wollen und ein schlüssiges Konzept vorweisen können.
Das Produkt muss eine Relevanz für Ältere haben und auf dem Markt etablierbar sein.
Fristen:
Bewerbungsschluss: 30.Juni.
Finale: 22. September.
Bewerben kann man sich auf der Webseite des SENovation Awards
Vorteile:
€5.000 pro Gewinner und je nach Bedarfslage intensives Coaching der Unternehmen
Alle Teilnehmer profitieren von der enormen Sichtbarkeit durch die Teilnahme
Jurymitglieder sind der Geschäftsführer der Deutschen Seniorenliga und der CEO der Signal Iduna Gruppe sowie eine bunte Expertengruppe aus den verschiedensten Disziplinen. Es wird auch vor einer Seniorengruppe gepitcht.