Auswandern im Alter – Ein Traum für alle Menschen?
Bernd Linnhoff, Journalist, Autor, Auswanderer, Blogger
Der ehemalige Chefreporter Fußball des Sportinformationsdienstes (SID) und der deutschen Presseagentur (dpa), Bernd Linnhoff ist heute Herausgeber des weithin bekannten deutschsprachigen Blogs Faszination Fernost, auf welchem er sich mit seinen lesenswerten, unterhaltsamen und teilweise feuilletonistisch anmutenden Beiträgen die Kultur, das Reisen und das Leben in Thailand und ganz Südostasiens beschreibt.
Der Westfale lebt und arbeitet mit seiner thailändischen Frau in Chiang Mai im Nordwesten Thailands. In unserem Gespräch lässt uns Linnhoff an seinem faszinierenden Leben in einer für viele von uns fremden Welt teilhaben. Wir sprechen auch darüber, ob jede(r) überhaupt für das Auswandern gemacht ist, und worauf man achten sollte, bevor man ein solch großes Wagnis eingeht.
Wir beginnen mit König Fußball:
Vor seiner journalistischen Laufbahn war Linnhoff selbst Spieler der 2. Liga. Die Balance zwischen der Nähe zu den aktiven Spielern, und der für seinen Beruf notwendigen inneren Distanz, war für ihn immer eine Herausforderung. Gegen viele Spieler hatte er ja noch selbst gespielt. Die Spieler vertrauten ihn, und das konnten sie auch.
Das Spiel selbst sei im Vergleich zu damals wesentlich schneller, und die Rahmenbedingungen professioneller geworden. Auf dem Platz fällten die Spieler heute unter höchsten Zeitdruck blitzschnelle Entscheidungen oder müssten sich aus schwierigsten Situationen befreien. Das Niveau habe schier künstlerische Dimensionen erreicht. Er schaue sich Fußball deshalb auch heute noch furchtbar gerne.
Warum Deutschland 1990 endlich die WM gewonnen hat
DBJ: Wie hat sich der Beruf des Sportjournalisten verändert?
Linnhoff: Generell war das Verhältnis zu den Spielern enger. Damals sind immer nur wenige Reporter mit zu den Länderspielen gefahren. Bei der WM in Mexiko 1986 waren wir nur 30 Kollegen. Wie schon 1982 in Spanien wohnten wir mit der Nationalmannschaft unter einem Dach, was für beide Seiten unbefriedigend war. Teamchef Beckenbauer zog daraus für die WM 1990 die einzige richtige Konsequenz. Die Nationalmannschaft wurde in einem anderen Quartier untergebracht. Das war sicher einer der entscheidenden Faktoren für den Gewinn des WM Titels 1990 in Italien.
„Meine Entscheidung nach Thailand auszuwandern war wohl die beste Entscheidung meines Lebens“
DBJ: Nach weiteren Jahren der Selbstständigkeit bist Du 2008 nach Thailand gezogen. Wie kam es zu diesen Entschluss? Und warum?
Linnhoff: Das erste Mal war ich schon im Jahr 1994 in Thailand. Damals befand ich mich in einer Art Lebenskrise und begleitete einen Arbeitskollegen über die Weihnachtsferien dorthin. Ich reiste für vier Wochen im Golf von Thailand zu den Inseln Koh Samui, Koh Tao und Phú Quốc. Auf der Reise wurde mir bewusst, wie wenig ich an materiellen Dingen tatsächlich brauche, um glücklich zu sein. Es war eine beeindruckende und unfassbar schöne Zeit.
Seitdem fuhr ich jedes Jahr nach Thailand in den Urlaub gefahren, – meistens in den Süden, später dann auch mal nach Bangkok. Jedes Jahr habe ich mich auf diese Reisen extrem gefreut. In Phuket anzukommen, um wenig später auf dem Deck der Fähre liegend mit dem Kopf auf dem Rucksack zu dösen oder vorbeilaufende Passanten zu beobachten, war für mich der Inbegriff der Freiheit. Eine Freiheit, die ich so nicht kannte und die mich immer mehr in ihren Bann zog. Über die Jahre durfte ich auch immer mehr lokale Freundschaften eingehen.
Sylvester 2007 stand ich schließlich auf dem Balkon eines Freundes im 20. Stock und schaute auf die hell erleuchtete Hauptstadt. Und da kam es quasi über mich. Ich sagte mir: „Mein Gott; -hier warten auf Dich Abenteuer, neue Menschen, Erlebnisse!“ Der Entschluss stand somit fest. 9 Monate später war es dann so weit. Meinen 60. Geburtstag feierte ich als frisch Ausgewanderter in meiner neuen Heimat Bangkok.
Meine Entscheidung nach Thailand auszuwandern war die wohl beste Entscheidung meines Lebens.
„Ich wollte mit leichtem Gepäck reisen“
DBJ: Musstest Du viel in Deutschland zurücklassen?
Linnhoff: Ich war Single, und insoweit ungebunden. Was die materiellen Dinge angeht, musste mich vor allen von meinen über 1.000 Büchern und vielen CDs trennen. Ich wollte mit leichtem Gepäck reisen, – und zwar im wörtlichen, als auch im übertragenen Sinne. Es ist ein eigenartiges Gefühl, wenn man nach 60 Jahren in Deutschland die Türen abschließt und genau weiß, es gibt kein zurück.
Über die Herausforderung Thai zu lernen!
DBJ: Inwieweit fühlst Du Dich in der thailändischen Gesellschaft integriert?
Linnhoff: Generell habe ich hier schon viele lokale Beziehungen. Meine Frau ist Thai. Ich bin aber von Natur aus nicht jemand, der viel unter Menschen geht. Ich schätze eher die Gemeinschaft mit meinen engen Freunden. Meine zwei Versuche Thai zu lernen sind zugegebenermaßen gescheitert. Grammatikalisch ist die Sprache zwar einfach strukturiert. Das Thai ist aber sehr tonal. Ein Wort bekommt je nach Betonung eine völlig andere Bedeutung. Nachdem ich einmal eine Mutter durch meine falsche Aussprache zum Pferd erklärt habe, bleibe ich lieber vorsichtig.
Hier befindet sich Europa auf den Landkarten nicht in der Mitte!
DBJ: Welche Herausforderungen gibt es in dem Verhältnis zwischen Eingewanderten und Thais?
Linnhoff: Ich bin manchmal ein wenig ratlos, wenn ich anderen Eingewanderten dabei zuhöre, wie sich einige über ihre Gastgeber beschweren. Manchmal bricht sich hier ein gewisses Überlegenheitsgefühl Bahn. Sätze wie „Die Thais lernen es nie!“ kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Thais reagieren darauf verständlicherweise ungehalten.
Man stelle sich mal umgekehrt vor, die in Deutschland lebenden Thais würden die Deutschen ständig kritisieren. Ich glaube, dass die Deutschen dann nicht anders reagieren würden.
Westliche Länder tendieren oft zu der Meinung, dass unsere Demokratie das Beste für alle Länder sei. Die Idee, unsere Demokratie auf Thailand 1:1 übertragen zu wollen, ist aber falsch. Sie würde zu dieser völlig anderen Kultur gar nicht passen. Thailand ist eine andere Welt.
Auf den Landkarten hier ist Europa ohnehin nicht in der Mitte!
„Die eigenen Kinder sind hier oft die einzige Altersvorsorge“
DBJ: Wie sieht das Verhältnis zwischen den jüngeren und älteren Thais aus?
Linnhoff: Es gibt in Thailand faktisch keine Rente. Die Kinder sind oft heute noch die Altersvorsorge der Eltern. Die Menschen hören auf zu arbeiten, wenn sie nicht mehr arbeiten können oder wollen. Anschließend leben sie dann entweder von dem Geld ihrer Kinder oder gehören zu den wenigen, die es geschafft haben, sich Geld zur Seite zu legen.
Trotz eines stärker werdenden Mittelstandes ist Thailand immer noch ein Agrarland. Wie in anderen Ländern auch, ziehen viele junge Menschen vom Land in die Großstädte und unterstützen von dort aus ihre Familien. Dort ergeben sich dann neue Situation. Kommt beispielsweise eine junge Frau nach Bangkok, kann sie entweder für 12.000 Baht (€ 350,-) im Monat im Supermarkt arbeiten oder in einer Bar das drei- oder vierfache verdienen. Auch hier wünschte ich mir, von vorschnellen Pauschalverurteilungen abzusehen.
„Und wenn die Sehnsucht stark genug ist, fällt jede Mauer“ (Udo Jürgens)
DBJ: Es gibt viele die insgeheim davon träumen irgendwann einmal in ein anderes Land auszuwandern, und einfach noch einmal von vorne anzufangen. Wie kann jemand möglichst schon vorher schon feststellen, ob er oder sie für ein Leben in einem fremden Land wie Thailand überhaupt geeignet ist?
Linnhoff: Es gibt Auswanderungsbiografien, bei denen die Vernunft bei der Entscheidung eine tragende Rolle spielt, – etwa, wenn jemand aus finanziellen Gründen auswandert, weil die Lebenshaltungskosten im Gastgeberland niedriger sind.
Meistens, und so war es auch in meinem Fall, kommt der Auswanderungsgedanke aber mit der Sehnsucht in einem anderem Land leben zu wollen. Udo Jürgens sagt „Und wenn die Sehnsucht stark genug ist, fällt jede Mauer“.
Man sollte seine eigenen Bedürfnisse genau prüfen. Ideal wäre es, vorher einmal drei bis vier Monate an dem Ort der Sehnsucht zu verbringen. Im Urlaub kann man sich eigentlich immer mit einer fremden Kultur arrangieren. Im Alltag unterscheiden sich die asiatischen Kulturen von den westeuropäischen Kulturen teilweise extrem, was sich an vielen konkreten Beispielen festmacht. Diese konkreten Beispiele bekommt man im Urlaub gar nicht unbedingt mit.
Nach der Auswanderung durchlaufen die Ausgewanderten regelmäßig fünf Phasen, bevor sie endgültig heimisch werden.
- Euphorie
- Zweifel
- Kulturschock
- Akzeptanz
- Leben
Bei mir persönlich dauerte dieser Zyklus zwei bis drei Jahre. Jede Phase hat ihre schönen Seiten.
Das alles sind aber keine Hinderungsgründe an sich. Viele Europäer, Amerikaner und auch ich sind hier glücklich und heimisch geworden.
„This is Thailand – Wer ein berechenbares Leben sucht, sollte vielleicht nicht gerade nach Thailand ziehen“
DBJ: In unserem Gespräch ist deutlich geworden, dass Thailand eine völlig andere Welt ist. Kannst Du das zum Abschluss mit einigen konkreten Beispielen belegen?
Linnhoff: Ich mag groteske Situationen. Davon gibt es hier viele. Wer ein berechenbares Leben sucht, sollte vielleicht nicht nach Thailand ziehen. Viele Ausländer erleben überraschende Geschichten. Ich natürlich auch. Drei Beispiele:
Wenn Traditionen über Befindlichkeiten gehen
Meine Frau und ich saßen bei einer befreundeten Familie zum feierlichen Essen auf dem Boden. Der Gastgeber bereitete mit seiner Hand speziell für mich eine mundgerechte Portion Fisch mit Reis vor. Mir wurde aus großer Entfernung sofort klar, dass es furchtbar scharf und somit für mich nicht zum Aushalten sein würde. Ich schaute meine Frau hilfesuchend an. Sie reagierte aber nicht. Ich fand aus der Situation selbst heraus. Später erklärte mir meine Frau, dass sie außer Stande war mir zu helfen, ohne gegen die Kultur und Tradition zu verstoßen, nach welcher die etwas jüngere Frau dem Mann so etwas einfach nicht ausschlägt. Meine Befindlichkeiten spielten in dem Moment offenbar eine untergeordnete Rolle.
Wenn Namen Glück bringen
Die Namenstruktur in Thailand ist sehr speziell: Wenn jemand das Gefühl hat, dass es gerade nicht so gut läuft, dann legt er oder sie sich oft einen Neuen Namen an und hofft, dass der neue Name mehr Glück bringt. Bei den Familiennamen ist das auch möglich, aber die Familie muss einen Namen wählen, der noch von keiner Familie besetzt ist. Zwei Familien können nicht den gleichen Namen tragen.
Wenn Zwillinge „heiraten“, um getrennt voneinander leben zu Können
Schon im alten Siam lebten der Buddhismus und der Animismus (Geisterglaube) in friedlicher Ko-Existenz zusammen. Auch heute noch beschäftigen sich Thais mit dem Übernatürlichen. Eltern von gemischten Zwillingspaaren richten beispielsweise eine Art Hochzeitszeremonie für ihre zwei- bis dreijährige Kinder aus. Dem Glauben nach sind Bruder und Schwester in einem früheren Leben in tiefer Liebe miteinander verbunden gewesen, welche sie aus welchen Gründen auch immer nicht ausleben konnten. Durch die Geburt haben die Beiden nun eine neue Chance bekommen, um eine erfüllte Liebe zu finden. Durch die festliche Zeremonie wird dafür Sorge getragen, dass Bruder und Schwester in der Zukunft -getrennt voneinander- ein unbelastetes Leben können.
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